Todesursachen in Brandenburg und Berlin (1990-2013)
Einleitung
Seit Beginn der 1990er Jahre befasst sich das Landesumweltamt Brandenburg mit Untersuchungen zu den Verlustursachen von Greifvögeln, Eulen und weiteren ausgewählten Vogelarten. Die letzte Auswertung zum Seeadler erfolgte im Rahmen des Artenschutzprogramms für die Adler (MLUV 2005). Nach fast einem Jahrzehnt sind zahlreiche weitere Adlerverluste dokumentiert. Ausdrücklich wird bei deren Auswertung nicht von einem „Verlustmonitoring“ gesprochen, da die Untersuchungen nicht die Anforderungen eines Monitorings erfüllen können, insbesondere an eine standardisierte Methodik, die repräsentative Aussagen für das tatsächliche Mortalitätsgeschehen in der Natur zulässt. Auch sagen die Ergebnisse nichts über Mortalitätsraten innerhalb der Population aus. Dennoch lassen sich aus der kontinuierlichen Datensammlung Aussagen zu den einzelnen Verlustursachen, ihrer Verteilung und teilweise den Trends ableiten.
Die vorliegende Auswertung konzentriert sich auf flügge Seeadler jenseits der Nestlingsphase. Allen Personen, die als Finder, Helfer, Horstbetreuer, Veterinärmediziner, Wissenschaftler usw. ihren Beitrag zu den Untersuchungen geleistet haben, sei herzlich gedankt.
Seeadler mit Bleivergiftung |
Material und Methodik
Die Adlerfunde bzw. -reste wurden durch breite Kreise der Bevölkerung gemeldet oder übermittelt. Im Laufe der Zeit wurde ein Netzwerk aufgebaut, das aus Naturfreunden, Mitarbeitern von Behörden und der Forstverwaltung sowie Verbänden, Pflegestationen usw. besteht, um gefundene Tiere der zentralen Auswertung zuzuführen. Im Juni 2000 riefen die Oberste Jagdbehörde und der Landesjagdverband Brandenburg e. V. die Jagdausübungsberechtigten auf, das Programm zu unterstützen. Das bestehende Netzwerk dient auch dazu, lebende Tiere unverzüglich kompetenten Einrichtungen zuzuführen, ohne dass zuvor unerfahrene Personen daran experimentieren. In diesem Fall ist der Tierschutz dem Jagdrecht übergeordnet. Lebend gefundene Tiere gingen in die vorliegende Auswertung mit ein sofern damit zu rechnen war, dass die Vögel ohne menschliche Hilfe nicht überlebt hätten. Auch mit veterinärmedizinischer Versorgung ließ sich nur ein Teil der Vögel retten.
Zu jedem Fund wurde maximaler Informationsgewinn angestrebt, wozu die standardisierte Datenabfrage über einen Fragebogen beiträgt. Auch Überreste toter Vögel wurden einbezogen, wobei auch hier möglichst eine genaue Erfassung der Fundum stände erfolgte. Aus Kapazitätsgründen war es nicht möglich, jedem Fund selbst bis zum Fundort nachzugehen. Hilfe leisteten ersatzweise telefonische Abfragen, fotografische Belege und die zunehmende Kompetenz von Personen, mit denen wir schon länger zusammenarbeiten. Soweit die Tierkörper hinsichtlich Erhaltungszustand und Vollständigkeit für eine pathomorphologische Untersuchung geeignet erschienen, gelangten sie nach der äußerlichen Beurteilung und Vermessung zu einem veterinärmedizinischen Institut zur Ermittlung der Todesursache und ggf. relevanter Nebenbefunde (z. B. früherer Beschuss durch Röntgenuntersuchung).
Ergebnisse und Diskussion
Zwischen 1990 und September 2013 wurden für die Länder Brandenburg und Berlin 415 Verluste von See adlern jenseits der Nestlingsphase inkl. gehandicapter lebender Vögel dokumentiert. Parallel zum Bestandszuwachs nahm die Zahl der jährlich verletzt oder tot gefundenen Seeadler zu (Abb. 2). Der Rückgang von Funden in den letzten Jahren kann durch spätere Nachmeldungen u.U. noch teilweise kompensiert werden.
Abb. 3 gibt einen Überblick über die ermittelten Todesursachen von 328 Seeadlern. Bei 87 weiteren Vögeln blieb die Todesursache unklar. In der Regel sind dies Vögel, von denen nur ältere Reste gefunden werden, aber auch bei obduzierten Vögeln kann aus verschiedenen Gründen die Todesursache ungeklärt bleiben. Zu dieser Gruppe gehören 27 Fälle, bei denen aufgrund pathomorphologischer Veränderungen, klinischer Symptome bei lebenden Vögeln sowie lokal gehäuftem Mortalitätsgeschehen ein Vergiftungsverdacht bestand, der sich aber nicht definitiv beweisen ließ.
Verglichen mit den ungeklärten Vergiftungsfällen war der Anteil der Vergiftungen, bei denen tatsächlich ein Giftnachweis gelang, bis auf die Bleivergiftungen gering. Dies waren zweimal Quecksilber sowie fünfmal verschiedene Karbamate, die auch in anderen Ländern gezielt gegen Greifvögel eingesetzt werden (Bijlsma 1993, Tata - ruch et al. 1998).
Bleivergiftung war im Untersuchungszeitraum mit 26,8 % die häufigste Verlustursache bei Seeadlern in Brandenburg und trat mit zunehmender Tendenz auf. Da jedoch nur bei 255 Seeadlern Organe und/oder Blut auf Blei untersucht wurden, kann eigentlich nur für diese Gruppe eine Prozentangabe erfolgen: 34,5 % der auf Blei untersuchten Vögel wiesen eine Bleivergiftung auf und zusätzlich 12,5 % deutlich erhöhte Werte*, die schon klinische Auswirkungen haben könnten, welche unter Umständen andere Verlustursachen begünstigen. Die Mehrzahl der Bleivergiftungen geht nicht auf Bleischrot, sondern auf Geschossblei zurück (Jonas et al. 2005), welches die Adler mit der Nahrung über geschossenes Wild / Wildaufbruch zu sich nehmen. Während Bleischrot seit 2005 in Brandenburg zumindest bei der Wasservogeljagd nicht mehr verwendet werden darf, haben sich die Regeln für den Einsatz von Geschossblei mehrfach geändert; zudem wird deren Umsetzung kaum kontrolliert. Daher gibt es weiterhin Bleivergiftungen bei Seeadlern.
An zweiter Stelle der Verlustursachen rangieren Kollisionen mit Schienenfahrzeugen, die ebenfalls fast ein Viertel der Verluste ausmachen und tendenziell zunehmen. Überlegungen, wie die Verluste reduziert werden könnten, brachten bisher noch keine Ergebnisse. Der wichtigste Ansatz ist, Wildverluste zu verhindern, denn in fast allen Fällen befand sich Aas im Schienenbereich, an dem die Adler gefressen hatten. Ergebnis mehrerer Gespräche und Expertentreffen bei der Deutschen Bahn AG ist bisher die Optimierung des Meldesystems, das zur Registrierung und schnellen, weiträumigen Beseitigung toter Tiere aus dem Gleisbereich führen soll. Zäunung kommt bestenfalls in Bereichen erhöhter Mortalität in Frage; andernfalls würden Bahnstrecken noch mehr zur Lebensraumfragmentierung und Isolierung von Tierpopulationen beitragen. Verkehrsverluste an Straßen sind mit 3,4 % der Verluste vergleichsweise selten. Fünf Unfälle erfolgten an Autobahnen und je drei an Bundesstraßen und Landstraßen.
Deutlich abnehmend ist der Trend bei Verlusten durch Stromschlag, der vor allem an Mittelspannungsleitungen und nur ausnahmsweise an Hochspannungsleitungen auftritt: während sie bei Langgemach & Böhmer (1997) noch 24 % der Verluste ausmachten, liegt der Anteil inzwischen nur noch bei 7,0 %
und in den Jahren seit 2008 sogar nur bei 3,6 %. Hier trägt mittlerweile die Umsetzung des § 41 (früher § 53) des Bundesnaturschutzgesetzes („Vogelschutz an Energiefreileitungen“) Früchte. Allerdings zeigen einzelne Verluste bei Seeadlern und anderen Großvögeln, dass auch nach Abschluss der Frist für die Umsetzung des § 41 noch eine Reihe von Mittelspannungsmasten nicht oder nur unzureichend gesichert wurde. Kollisionen mit Freileitungen spielen beim Seeadler eine untergeordnete Rolle und machen nur 4 % der Verluste aus.
Demgegenüber nehmen Kollisionen an Anlagen der Windkraftindustrie mit der Anzahl der Anlagen zu: Während sie insgesamt 8,8 % der Verluste ausmachen, lag ihr Anteil in den Jahren seit 2008 bei 16,7 %. Damit gehört der Seeadler neben dem Rotmilan zu den Vogelarten, bei denen am Bestand gemessen die höchsten Verluste an Windrädern auftreten (Illner 2012). Sollten die Abstandskriterien für Windkraftanlagen nach dem Brandenburgischen Windkrafterlass abgeschwächt werden, ist mit einer weiteren Zunahme der Kollisionen bei Seeadlern zu rechnen.
Die Ursache der Traumata vieler Seeadler blieb unklar (13,1 % der Verluste). Neben Kollisionen an unterschiedlichen, überwiegend wohl anthropogenen anthropogenen Hindernissen könnten auch Revierkämpfe eine Rolle spielen, die i. d. Regel zu typischen Verletzungen führen (3,0 % der Verluste).
Vier Seeadler starben im Untersuchungszeitraum an Schussverletzungen. Bei weiteren sieben Adlern wurde ein länger zurückliegender Beschuss mit Schrot als Nebenbefund festgestellt. Auf 198 geröntgte Vögel bezogen, wurden damit immerhin 5,6 % der gefundenen Adler beschossen. Da tödlich getroffene Adler vermutlich meist vom Schützen beseitigt werden, dürfte der Anteil beschossener Adler noch höher sein. Bei einzelnen Schroten lässt sich im Röntgenbild Luftgewehrmunition nicht sicher abgrenzen, doch dürfte es kaum möglich sein, sich einem Seeadler auf Luftgewehrentfernung zu nähern. Zudem werden mit Luftgewehren überwiegend Diabolos verschossen. Zusammen mit den Vergiftungsfällen zeigt sich, dass Seeadler in nicht geringem Maße illegaler menschlicher Verfolgung ausgesetzt sind.
*) Bleivergiftung: Leber und/oder Niere =5 ppm , Blut =0,6 ppm deutlich erhöhte Werte („Blei- Exposition“): Leber und/oder Niere =2 ppm, Blut =0,2 ppm
Literatur
Bijlsma, R. G. (1993): Ecologische Atlas van de Nederlandse Roofvogels. Schuyt & Co., Harlem. Illner, H. (2012): Kritik an den EU-Leitlinien „Windenergie-Entwicklung und NATURA 2000“, Herleitung vogelartspezifischer Kollisionsrisiken an Windenergieanlagen und Besprechung neuer Forschungsarbeiten. Eulen-Rundblick 62: 83-100. Jonas, L.; Krone, O.; Zack, F. (2005): Blei- und Antimonnachweis in Geschosspartikeln aus Seeadlermägen. In: Krone, O.; Hofer, H. (Hrsg.): Bleihaltige Geschosse in der Jagd - Todesursache von Seeadlern? Institut für Zoo- und Wildtierforschung S. 18-23. Langgemach, T.; Böhmer, W. (1997): Gefährdung und Schutz von Großvögeln an Freileitungen in Brandenburg. Natursch. Landschaftspfl. Brandenb. 6: 82-89. Langgemach, T.; Kenntner, N.; Krone, O.; Müller, K.; Sömmer, P. (2006): Anmerkungen zur Bleivergiftung von Seeadlern (Haliaeetus albicilla). Natur & Landschaft 81: 320-326. MLUV (Ministerium für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Verbraucherschutz, Hrsg.) (2005): Artenschutzprogramm Adler. - Potsdam, 94 S. Tataruch. F.; Steineck, T.; Frey, H. (1998): Ver - giftungen durch Carbofuran bei Wildtieren (Greifvögel, Singvögel und Carnivoren) in Österreich. Wien. Tierärztl. Mschr. 85: 12-17.
Torsten Langgemach, Birgit Block, Paul Sömmer
Landesamt für Umwelt, Gesundheit und
Verbraucherschutz Brandenburg
Staatliche Vogelschutzwarte
Rainer Altenkamp
Naturschutzbund Berlin
Kerstin Müller
Klinik und Poliklinik für kleine Haustiere der FU Berlin
Fotos: Silvio Herold