Adler über Brandenburg (2021)
Mit etwa 630 Adler-Brutpaaren rangiert Brandenburg nach Mecklenburg-Vorpommern an zweiter Stelle im bundesweiten „Adler-Ranking“. Lediglich beim Fischadler liegen wir seit Jahrzehnten deutlich vor dem Küstenland. See- und Fischadler konnten aufgrund der Bestands- und Gefährdungssituation schon vor längerer Zeit aus der brandenburgischen Roten Liste entlassen werden. Der Schreiadler als seltenste der drei Arten muss darin hingegen immer noch als „vom Aussterben bedroht“ eingestuft werden. Stein- und Schlangenadler haben unsere Region schon im vorletzten Jahrhundert als Brutvögel geräumt. Wobei diese Formulierung nicht ganz stimmt – das Verschwinden erfolgte in erster Linie aufgrund menschlicher Verfolgung. Heute erfreuen beide Spezies – ebenso wie weitere Adlerarten – nur noch als Gastvögel die Herzen der Vogelfreunde.
Abb. 2: Bestand und Reproduktion des Seeadlers in Brandenburg1992-2020 |
Der Adlerschutz beruht in Brandenburg im Wesentlichen auf zwei Säulen: 1) dem § 19 des Brandenburgischen Naturschutzgesetzes („Horststandorte“) und 2) dem unermüdlichen Wirken unserer überwiegend ehrenamtlichen HorstbetreuerInnen, die von der Staatlichen Vogelschutzwarte koordiniert werden und eine jährliche Aufwandsentschädigung erhalten. Ihnen sind auch die nachfolgend dargestellten Zahlen zu verdanken. Diese Basis des Horstschutzes hat sich in der Praxis seit langer Zeit bewährt, so dass die Inhalte einer Publikation in den Berichten zum Vogelschutz immer noch weitgehend gültig sind (LANGGEMACH et al. 2008). Viele HorstbetreuerInnen sind schon seit Jahrzehnten aktiv, und ihr altersbedingtes Ausscheiden macht so manches Mal deutlich, was für eine schwer zu schließende Lücke sie hinterlassen. Weitere Bausteine des Horstschutzes, etwa der Einsatz von Kunsthorsten, sind im genannten Artikel nachlesbar.
Der Bestand des Seeadlers steigt seit Jahrzehnten kontinuierlich an (Abb. 2). Jedes vierte Seeadlerpaar in Deutschland brütet in Brandenburg, die Masse davon auf Kiefern. Ein sich andeutendes Plateau in der Bestandsentwicklung wurde 2019 und 2020 wieder getoppt durch eine neuerliche Zunahme auf 230 besetzte Reviere. Ein dichtebedingt abnehmender Bruterfolg ist bisher kaum erkennbar. Verbreitungsschwerpunkte sind naturgemäß die gewässerreichen Landschaften, aber es gibt auch zunehmend Bruten weitab größerer Gewässer. In der Agrarlandschaft der Großtrappengebiete wurden im Laufe der letzten Jahre Zielkonflikte deutlich, indem Seeadler nicht nur regelmäßig Trappen erbeuten, sondern auch die arteigene Arenabalz der Steppenvögel stören bzw. zeitweilig auflösen. Dass immer wieder Horstbäume illegal gefällt werden, hat jedoch einen anderen Hintergrund und ist ein neues Phänomen in Planungsgebieten der Windenergienutzung. Neben anderen Arten sind bisher fünf Fälle bei Seeadlern dokumentiert, wobei es eines der Brutpaare bereits zweimal getroffen hat. In den zurückliegenden Jahren wurden alljährlich ca. 20 bis 30 Seeadler-Totfunde dokumentiert. Unter den Todesursachen rangieren Bleivergiftung durch Jagdmunition und Kollision mit Schienenfahrzeugen an vorderer Stelle, in den letzten Jahren jedoch überholt von Kollisionen an Windenergieanlagen. Stromschlag spielt nach der Reglementierung der Sicherung gefährlicher Mittelspannungsmasten im Bundesnaturschutzgesetz kaum noch eine Rolle – das letzte Opfer wurde 2016 registriert.
Abb. 3: Bestand und Reproduktion des Fischadlers in Brandenburg 1992-2019 |
Etwa 62 % der Fischadler Deutschlands brüten in Brandenburg. Dort haben sie ein ähnliches Verbreitungsmuster wie die Seeadler. Die Bestandszunahme der Art scheint auf Landesebene beendet zu sein (Abb. 3). Nach einem Maximalwert von 385 besetzten Revieren im Jahr 2014 pendelt der Bestand um etwa 375 Reviere. Regional gibt es Abnahmen, etwa in der Uckermark, und Zunahmen wie im Havelland. Die Reproduktion erreichte 2011 noch einmal einen Wert von knapp über 2 flügge juv. je Brutpaar und nimmt seither tendenziell ab. Inzwischen brütet nur noch jedes sechste Fischadlerpaar auf einem Baum; vor 25 Jahren war es noch jedes dritte. Der 1937 begonnene Trend zu Gittermasten, insbesondere im Hochspannungsbereich, hält an. Dies ist auf der einen Seite dem Mangel an sehr alten und hohen Überhälter-Kiefern geschuldet, auf der anderen Seite der offensiven Förderung der Mastbruten durch die Energie-Unternehmen, die auf „ihre“ Fischadler stolz sind. Auf einer Fischadlertagung 2015 im Westen Polens hat ein engagierter Vortrag von Andreas Baß (†) von der e.dis zu einem Umdenken bei den polnischen Kollegen geführt – die begonnene Einbeziehung der Hochspannungsmasten in die Schutzstrategie könnte eine Schlüsselrolle bei der Verbesserung der Bestandssituation in Polen spielen, die auffallend schlechter als hierzulande ist. Ein relativ junges Phänomen sind „Brutpartnerschaften“ von Fischadlern und Wanderfalken, besonders auffällig bei den Gittermasten: vorhandene Adlerhorste werden früh im Jahr von den Falken besetzt, die dadurch die später aus dem Winterquartier eintreffenden Fischadler zum Bau neuer Nester zwingen. Diese werden dann in einem der Folgejahre wieder durch die Falken übernommen, wenn der alte Brutplatz „zerwohnt“ ist.
Der Schreiadler ist bei weitem der seltenste Adler in Brandenburg. Das Land teilt sich die Verantwortung für die Art mit Mecklenburg-Vorpommern, wo etwa 80 % des deutschen Brutbestandes von 135 Paaren leben. Außerhalb des geschlossenen Areals gibt es nur noch ein weithin isoliertes Brutpaar in Sachsen-Anhalt. In Brandenburg nahm der Bestand des Schreiadlers in den 1990er und frühen 2000er Jahren ab, um dann seit 2006 zwischen 22 und 24 Paaren zu pendeln (Abb. 4). Seit 2017 ist wieder eine Zunahme erkennbar, die aber im Widerspruch zum desolaten Bruterfolg der zurückliegenden Jahre steht. Während vor 2009 im Mittel 0,64 Junge pro Paar ausflogen, wurden danach nur noch 0,44 pro Paar flügge, und der vorherige Mittelwert wurde nicht einmal mehr in den besten Jahren erreicht. Die Grenze markiert recht präzise die Abschaffung der konjunkturellen Stilllegungen durch die EU-Kommission. Damit gingen den Adlern großflächig hervorragende Nahrungsflächen verloren, die sich zum großen Teil in Maisfelder verwandelten.
Abb. 4: Bestand und Reproduktion des Schreiadlers in Brandenburg 1994-2020 |
Dem Schutz des Schreiadlers und seiner Lebensräume muss in Deutschland höchste Priorität beigemessen werden.(Foto: Peter Wernicke) |
Dies zeigt, dass beim Schreiadler mehr als bei den anderen beiden Adlerarten komplexe und großflächige Schutzansätze erforderlich sind, die von einem ungestörten Brutplatz in einem vielgestaltigen Laub- oder Mischwald über attraktive Nahrungsflächen in der Umgebung bis hin zu großflächiger Freiheit von Windkraftanlagen reichen. Die Faktoren greifen auch ineinander: Mäßige oder schlechte Nahrungsgebiete führen zu größeren Aktionsräumen, was nicht nur die Präsenz am Horst reduziert, sondern auch Kollisionsrisiken erhöht. Sieben an Windkraftanlagen kollidierte Schreiadler in Deutschland klingen wenig, aber eine Populationsanalyse hat bereits vor längerer Zeit unter Beweis gestellt, dass es in kleinen Populationen auf jeden einzelnen Adler ankommt (BÖHNER & LANGGEMACH 2004). Um auf den trotz all dieser Probleme zunehmenden Bestand zurückzukommen: Ein Beitrag dazu dürften die 123 Jungvögel sein, die seit 2004 zusätzlich im Rahmen des „Jungvogelmanagements“ flügge wurden. Dabei wird der zweitgeborene Jungvogel, der fast immer dem arteigenen Kainismus zum Opfer fällt, entnommen und nach der Aufzucht in Menschenhand über Adoption (bis 2008) bzw. eine Hackingstation (seit 2009) ausgewildert (GRASZY- NSKI et al. 2012, MEYBURG et al. 2015). Der Bruterfolg in Brandenburg wurde damit um fast 60% gesteigert, und wie gesagt: Es kommt auf jeden einzelnen Schreiadler an!
Literatur
BÖHNER, J. & T. LANGGEMACH (2004): Warum kommt es auf jeden einzelnen Schreiadler Aquila pomarina in Brandenburg an? Ergebnisse einer Populationsmodellierung. Vogelwelt 125: 271-281.
GRASZYNSKI, K., T. LANGGEMACH, B.-U. MEY- BURG, P. SÖMMER U. BERGMANIS, A. HINZ, I. BÖRNER & M. MEERGANS (2012): Jungvogelmanagement beim Schreiadler. In: KINSER, A. & H. V. MÜNCHHAUSEN (Hrsg.): Der Schreiadler im Sturzflug – Erkenntnisse und Handlungsansätze im Schreiadlerschutz. Tagungsband zum 1. Schreiadlersymposium der Deutschen Wildtier Stiftung (2011, Potsdam): 74-85.
LANGGEMACH, T., M. THOMS, B. LITZKOW & A. STEIN (2008): Horstschutz in Brandenburg. Ber. Vogelschutz 45: 39-50.
MEYBURG, B.-U., K. GRASZYNSKI, T. LANGGE- MACH, A. HINZ, I. BÖRNER, I. SIMM-SCHÖNHOLZ, I. LEHNIGK, U. BERGMANIS, C. MEYBURG & U. KRAATZ (2015): Lesser Spotted Eagle (Aquila pomarina) nestling management in Brandenburg (Germany) in 2004-2014. Slovak Raptor J. 9: 77-78.
Torsten Langgemach
Staatliche Vogelschutzwarte im Landesamt für Umwelt Brandenburg