Windenergieanlagen

Greifvögel als Opfer von Windenergieanlagen

Offshore
Windenergiepark vor Dänemark

Die Staatliche Vogelschutzwarte Brandenburg sammelt und dokumentiert in einer zentralen Datenbank bundesweit alle Meldungen von an Windenergieanlagen (WEA) verunglückten Vögeln und Fledermäusen. Diese Datenbank beinhaltet Ergebnisse aus Publikationen, Meldungen von Zufallsfunden und zunehmend Ergebnisse systematischer Kontrollen. Nachdem die große Menge vorliegender Untersuchungsergebnisse über Lebensraumentwertung, Zugwegverbauung, Veränderung des Landschaftsbildes usw. nur bedingt auf den Verlauf des weiteren Ausbaus der Windenergienutzung Einfluss nehmen konnte, kommt der Dokumentation von Vogelverlusten an bestehenden WEA eine um so größere Bedeutung zu. Dabei geht es nicht darum, eine grundsätzliche Plattform gegen die Windenergienutzung zu schaffen, sondern darum, Forderungen des Vogelschutzes an Hersteller, Landschaftsplaner und Behörden auf eine solide Grundlage zu stellen. Dies kann nur gelingen, wenn die weit verstreut vorliegenden Einzelinformationen zusammengebracht werden.

Erst bei einem großen Stichprobenumfang wird es möglich, aus der Vielzahl der unterschiedlichen Faktoren, die das Verlustgeschehen beeinflussen, wesentliche Parameter abzuleiten, die bei künftigen Planungen zu berücksichtigen sind. Zusätzlich kann beim „Repowering“, d. h. dem Ersatz bestehender durch leistungsfähigere WEA nochmals auf den Rückbau an solchen Standorten hingewirkt werden, die sich als besonders kritisch erwiesen haben. In den Bundesländern wird derzeit schon an Erlassen für das „Repowering“ von WEA gearbeitet, die diese Möglichkeit vorsehen.

Mittlerweile umfasst die Datenbank Angaben zu 389 verunglückten Vögeln in 84 Arten sowie 342 Fledermäusen in 13 Arten. Greifvögel sind mit 140 Individuen in zwölf Arten vertreten, während bei den Eulen bisher neben je einer Schleier- (Tyto alba), Waldohr- (Asio otus) und Sumpfohreule (Asio flammea) nur der Uhu (Bubo bubo) mit sechs Verlusten zu Buche steht. Damit rangieren die Taggreifvögel an der Spitze aller betroffenen Vogelarten und stellen allein 36 % aller gefundenen Vögel. Dies ist ein völlig unerwartetes Resultat, denn Greifvögel sind nicht nur durch die Morphologie des Auges zu sehr gutem Sehen befähigt, sondern haben auch einen relativ großen Bereich binokularen Sehens. Verluste treten dennoch nicht nur unter widrigen Sichtbedingungen, sondern selbst bei bestem Wetter auf (KRONE & SCHARNWEBER 2003). Bei der Interpretation der hohen Verluste sind bisher sechs Aspekte erkennbar:

  1. Greifvögel bewegen sich regelmäßig über größere Strecken fliegend, z. B. bei der Balz oder bei der Nahrungssuche, insbesondere in der Zeit der Jungenaufzucht.
  2. Beim Passieren von WEA bei diesen Flügen wird die Umlaufgeschwindigkeit der Rotorspitzen nicht richtig eingeschätzt, da der Gesamteindruck eine relativ langsame Bewegung vortäuscht.

  3. U. U. erfolgt beim regelmäßigen Vorbeifliegen in geringer Entfernung Gewöhnung, die dann bei starkem Wind durch höhere Rotorgeschwindigkeit und Abdrift des Vogels das Kollisionsrisiko verstärkt.

  4. Einige Arten scheinen durch ein attraktives Nahrungsangebot im Bereich von WEA angelockt zu werden. Nicht selten sind die Brachen am Mastfuß die einzigen kleinsäugerreichen Flächen inmitten weiter Ackerlandschaft. Aber auch Kadaver anderer Anflugopfer unter den Anlagen locken Greifvögel an.

  5. Beim Fokussieren der Beute während des Fluges nehmen Greifvögel die Rotoren nicht wahr. Dieser Faktor erklärt auch die große Mortalität von Bussarden an Straßen.

  6. WEA werden als Sitzwarten angeflogen. Vor allem bei Gittermasten wie sie in den USA eingesetzt werden, führt dies zu sehr hohen Verlusten (u. a. ERICKSON et al. 2001). In Deutschland gibt es bislang nur sehr wenige WEA in Gittermastbauweise, da diese in der Regel erst ab Bauhöhen >150 m zum Einsatz kommt, allerdings wird die Gondel, bei einigen Bautypen auch der Sockel, bisweilen als Sitzwarte genutzt.
Opfer von Windenergieanlagen
Abb 1: Anteil der Greifvögel an den in Deutschland
dokumentierten Vögeln als Windkraftopfer (n=389)

Offensichtlich ist das Kollisionsrisiko an WEA weniger ein visuelles Problem wie etwa bei Energiefreileitungen. Eher scheint das Problem darin zu bestehen, dass die Vögel kein Vermeidungsschema in ihrem Verhaltensprogramm haben und die Bewegungen der Rotoren nicht einkalkulieren können. Insofern dürfen Schutzstrategien nicht ausschließlich auf größere Auffälligkeit der Anlagen setzen.

Unter den Greifvogelopfern dominieren Rotmilan (Milvus milvus, 62 Funde) und Mäusebussard (Buteo buteo, 39), gefolgt von Seeadler (Haliaeetus albicilla, 15) und Turmfalke (Falco tinnunculus, 10), Schwarzmilan (Milvus migrans, 6) sowie Baumfalke (Falco subbuteo), Habicht (Accipiter gentilis), Sperber (Accipiter nisus), Merlin (Falco columbarius), Rauhfußbussard (Buteo lagopus), Rohrweihe (Circus aeruginosus) und Wiesenweihe (Circus pygargus) (je 1). Ein kleiner Greifvogel blieb unbestimmt. Der Rotmilan wird damit häufiger als jede andere Vogelart an WEA gefunden! Gegenüber dem vergleichbaren Mäusebussard, der in Deutschland siebenmal so häufig ist (BAUER et al. 2002), liegt die Zahl der Verluste um mehr als die Hälfte höher. Der beim Rotmilan ohnehin große Anteil anthropogen verursachter Verluste (LANGGEMACH et al. im Druck) wird dadurch um eine weitere Gefährdungsursache ergänzt.

Allein 25 Rotmilane (40 %) wurden als Zufallsfunde an WEA gemeldet, weitere 30 gehen auf Stichprobenkontrollen zurück und nur sieben wurden im Ergebnis systematischer Kontrollen dokumentiert. Das lässt eine besonders hohe Dunkelziffer erwarten, die geradezu nach systematischen Kontrollen verlangt. Alarmierend ist auch, dass sich unter 38 Rotmilanen, deren Alter bestimmt wurde, nur drei Jungvögel befanden. Der wichtigste Teil der Population, der aktiv an der Reproduktion beteiligt ist, ist damit besonders betroffen. Da es Hinweise gibt, dass Milane recht alt werden, dürften die Auswirkungen auf die Population um so größer sein. Bei Verlusten während der Brut- und Aufzuchtzeit kommt es zudem regelmäßig auch zum Brutverlust. Von 35 Altvögeln verunglückten allein 30 zwischen Revierbesetzung und Aufzuchtzeit (März bis Juli) und nur 5 im Anschluss an die Brutzeit (August bis September).

Artenspektrum der Greifvögel
Abb. 2: Artenspektrum der Greifvögel, die in Deutschland
als Windkraftopfer registriert wurden (n=140)

Konfliktsteigernd wirken sich Windparks in unmittelbarer Nähe von Hausmülldeponien aus, da diese großräumig von nahrungssuchenden Milanen aufgesucht werden. Über regelmäßig sehr weite Nahrungsflüge von Brutvögeln berichten z. B. NACHTIGALL et al. (im Druck). Dies erschwert eine Konfliktvermeidungsstrategie über Schutzradien um die Horste, die als Tabuzonen für die Windkraftnutzung zu betrachten sind. Die einzige Alternative, Rotmilane vor WEA wirksam zu schützen, scheint bisher die Schaffung großer Freiräume zu sein, in denen keine WEA zu errichten sind. Beobachtungen des Verhaltens ziehender Rotmilane deuten an, dass zumindest diese in den meisten Fällen WEA so weiträumig umfliegen, dass sie offenbar nur sehr selten an ihnen verunglücken (BRAUNEIS 1999, eigene Beobachtungen). Auch aus dem spanischen Winterquartier wurden bislang keine Totfunde gemeldet (MONTES & JAQUE 1995, LEKUONA 2001). Die drei gefundenen Jungvögel verunglückten sämtlich in der zweiten Augusthälfte, mindestens einer davon noch in der Nähe des Horstes.

Noch gibt es zu wenig Ergebnisse kontinuierlich durchgeführter Kontrollen auf Vogelschlag. In einem Windpark im Landkreis Potsdam-Mittelmark (20 WEA, 80 m Nabenhöhe, 64 m Rotordurchmesser) wurden bei dreimal wöchentlichen Kontrollen im Zeitraum 1. März 2004 bis 28. Februar 2005 u. a. vier Rotmilane (3 Altvögel, 1 Jungvogel) als Kollisionsopfer gefunden. Zwei weitere Rotmilane unbekannten Alters wurden von einem Jäger außerhalb des festgelegten 70-m-Suchradius, aber im Windpark gefunden, so dass je WEA und Jahr 0,3 Rotmilane als Anflugopfer nachzuweisen waren. Eine Hochrechnung der jährlich an deutschen WEA verunglückenden Rotmilane ist auf dieser Basis noch nicht möglich.

Wegen der flächenhaften Verbreitung des Rotmilans und einer inzwischen ebenfalls nahezu flächendeckenden Verteilung der WEA kann es in den kommenden Jahren zu bedeutsamen, möglicherweise sogar bestandsbeeinträchtigenden Verlusten durch WEA kommen. Angesichts der internationalen Verantwortung Deutschlands für den Erhalt dieser Art ist es um so dringlicher, möglichst umfassend angelegte Vermeidungsstrategien zu entwickeln.

Auch für den Seeadler erweisen sich die derzeit verwendeten Windenergieanlagen zunehmend als problematisch. Zusätzlich zu den bisher schwer zu beurteilenden Veränderungen des Adlerlebensraumes mehren sich nunmehr die Funde von an WEA verunglückten Adlern (DÜRR 2003). Seit 2002 wurden aus Nord- und Ostdeutschland 15 verunglückte Seeadler bekannt. Nur ein Vogel wurde im Rahmen kontinuierlicher Untersuchungen eines Windparks gefunden, 14 Fälle sind Zufallsfunde. In zwei Fällen führte der Verlust eines Altvogels 2,5 bzw. 5,6 km vom Horst entfernt zum Scheitern der Brut. In einem dritten Fall konnte das verunglückte Adlerweibchen nicht sicher einem von zwei bekannten, 12 bzw. 14 km entfernten Horsten zugeordnet werden. Insgesamt sind sechs der verunglückten Adler Altvögel (>5.KJ). Auffällig ist die Konzentration der Unglücksfälle im Zeitraum Anfang März bis Mitte April (n=10). Von vier Seeadlern liegen bisher Befunde zu Bleiintoxikationen vor. In einem Fall kann wegen hoher Bleiwerte in Leber (4,728 ppm FS) und Nieren (6,833 ppm FS) von einer verminderten Reaktionsfähigkeit ausgegangen werden.

Tobias Dürr und Torsten Langgemach aus: Populationsökologie Greifvogel- und Eulenarten 5: (2006): 483-490

Literatur

  1. BAUER, H.-G., P. BERTHOLD, P. BOYE, W. KNIEF, P. SÜDBECK & K. WITT (2002): Rote Liste der Brutvögel Deutschlands 3., überarbeitete Fassung. Ber. Vogelschutz 39: 50.
  2. BRAUNEIS, W. (1999): Der Einfluß von Windkraftanlagen auf die Avifauna am Beispiel der „Solzer Höhe“ bei Bebra-Solz im Landkreis Hersfeld-Rotenburg. Gutachten im Auftr. BUND LV Hessen e. V. Ortsvbd. Alheim-Rotenburg-Bebra: 1-93.
  3. DÜRR, T. (2003): Neue Seeadler-Verluste an Windenergieanlagen in Deutschland. Projektgruppe Seeadlerschutz Schleswig-Holstein, Jahresbericht 2003: 17-19.
  4. ERICKSON, W. P., G. D. JOHNSON, M. D. STRICKLAND, D. P. YOUNG jr., K. J. Sernka & R. E. Good (2001): Avian Collisions with Wind Turbines: A Summary of Existing Studies and Comparisons to Other Sources of Avian Collision Mortality in the United States. National Wind Coordinating Committee, Western EcoSystems Technology Inc.: 1-62.
  5. KRONE, O. & C. SCHARNWEBER (2003): Two White-Tailed Sea Eagles (Haliaeetus albicilla) collide with Wind Generators in Northern Germany. J. Raptor Res. 37 (2): 174-176.
  6. LANGGEMACH, T., O. KRONE, P. SÖMMER, A. AUE & U. WITTSTATT (im Druck): Verlustursachen bei Rotmilan (Milvus milvus) und Schwarzmilan (Milvus migrans) im Land Brandenburg. Vogel & Umwelt, Sonderheft.
  7. LEKUONA, J. M. (2001): Uso del Espacio por la Avifauna y Control de la Mortalidad de Aves y Murciélagos en Los Parques Eólicos de Navarra durante un Ciclo anual. Direccion General de Medio Ambiente Departmento de Medio Ambiente, Ordenacion del Territorio y Vivienda. Gobierno de Navarra: 1-147.
  8. NACHTIGALL, W., M. STUBBE & S. HERRMANN (im Druck) Aktionsraum und Habitatnutzung des Rotmilans (Milvus milvus) während der Brutzeit – eine telemetrische Studie im Nordharzvorland. Vogel & Umwelt, Sonderheft.
  9. MONTES, R. M. & L. B. JAQUE (1995): Effects of Wind Turbine Power Plants on the Avifauna in Campo de Gibraltar Region. Summary of Final Report. SEO/BirdLife International: 1-19.