Todesursachen von Seeadlern in Schleswig-Holstein

Einleitung

In Fortschreibung der Totfundanalyse bei Seeadlern aus Schleswig-Holstein für die Jahre 1997 bis 2011 (Struwe-Juhl & Latendorf 2012), haben wir nach nunmehr 10 Jahren erneut eine Aktualisierung der Ergebnisse vorgenommen. Im Zusammenhang mit den von der Projektgruppe Seeadlerschutz Schleswig-Holstein durchgeführten Artenschutzmaßnahmen wurden tot aufgefundene Vögel medizinisch und toxikologisch untersucht, um die Todesursachen zu erforschen. Hierzu wurden viele der von uns aufgefundenen Seeadler an das Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) nach Berlin eingesandt, um sie in das langfristig angelegte Todesursachen-Untersuchungsprogramm an Seeadlern in Deutschland einzubinden (Krone et al. 2002). Ein besonderer Dank gebührt an dieser Stelle Dr. Oliver Krone, für die kooperative Zusammenarbeit sowie die Überlassung der veterinär-medizinischen und toxikologischen Untersuchungsergebnisse. Der WWF Deutschland half bei der Finanzierung der toxikologischen Untersuchungen.

Todesursachen 1997 - 2021

Die Grundlage für die vorliegende Betrachtung bilden die Seeadlerfunde aus Schleswig-Holstein aus den letzten 24 Jahren, also von 1997 bis 2021. In dem genannten Zeitraum

 Todesursachen 1997 2021
 Abb.1: Todesursachen von Seeadlern in Schleswig-Holstein im Zeitraum 1997-2021 (nach Daten der Projektgruppe Seeadlerschutz)

wurden 284 Seeadler tot aufgefunden bzw. wurden so schwer verletzt, dass sie eingeschläfert werden mussten. Zu allen Funden liegen Totfundprotokolle mit eingehender Beschreibung der Fundumstände und dem Zustand der Vögel vor. Mit Hilfe der veterinär-medizinischen Untersuchungen im IZW konnten von uns von insgesamt 204 Seeadlern die Todesursachen bestimmt werden, von insgesamt 80 Vögeln blieben die Todesumstände jedoch unklar (Abb. 1). In dem untersuchten Zeitraum 1997-2021 waren die Kollisionen von Seeadlern mit Eisenbahnen mit 57 Fällen die häufigste Todesursache (= 20,1% von n=284 Ind.). Häufig geschieht dies, wenn die Seeadler dort an Tierkadavern fressen, die ihrer- seits bereits durch Verkehrskollision angefallen sind und dann tot am Gleiskörper liegen. In 47 Fällen war eine Kollision der Seeadler mit den Rotorblättern von Windenergieanlagen (WEA) die Todesursache. Hinzu kommen 9 Vögel mit Flügelverletzungen, die oftmals noch lebend aufgegriffen wurden, aber wegen der Schwere der Verletzungen nach veterinär-medizinischer Beratung eingeschläfert werden mussten. Unter diesen Vögeln sind weitere „Windkraftopfer“ zu vermuten, die aber wegen der Fundumstände nicht zweifelsfrei einer WEA in der Umgebung zugeordnet werden konnten.

Vergleichende Betrachtung der Totfundanalysen

Da nunmehr aus zwei Zeiträumen (1997-2011 und 2012-2021) vergleichbare Untersuchungen vorliegen, möchten wir nachfolgend einen Blick auf die Trends bei den Einzelursachen werfen (Abb. 2). Aufgrund der unterschiedlichen Fallzahlen in den beiden Zeiträumen (n=105 Totfunde in 14 Jahren gegenüber n=179 Totfunden in 10 Jahren) müssen die Ergebnisse relativ betrachtet werden. Augenfällig ist eine Zunahme bei den Bahnopfern von 14,3 % im ersten Zeitraum auf 23,5 % im zweiten Betrachtungszeitraum. Ein möglicher Erklärungsansatz ist hier die allgemeine Zunahme der ausgeflogenen Jungadler in Schleswig-Holstein und ihre „Empfindlichkeit“ gegenüber diesem Unfallrisiko.

 Vergleich Todesursachen
 Abb.2: Vergleich der Todesursachen von Seeadlern in Schleswig-Holstein in zwei unterschiedlichen Zeiträumen (nach Daten der Projektgruppe Seeadlerschutz)

Junge unerfahrene Seeadler fressen insbesondere im Winterhalbjahr gerne an Fallwild, das in der freien Landschaft insbesondere an Bahnstrecken und speziellen Luderplätzen der Jägerschaft zur Verfügung steht. Eine Häufung von Todesfällen gab es in den zurückliegenden Jahren auf der Bahnstrecke zwischen Malente und Preetz sowie am Hindenburgdamm als Verbindung zur Insel Sylt. Beiden Strecken verlaufen durch gewässerreiche und somit auch wildtierreiche Landschaften. Zudem wurden in den letzten Jahren auf beiden Strecken die Taktfrequenzen der Züge bzw. die Zuggeschwindigkeiten erhöht.

Eine weitere Auffälligkeit bei der vergleichenden Betrachtung der beiden Zeiträume ist eine Abnahme bei den Kollisionsopfern mit Windenergieanlage. Unter den „gemeldeten“ und aufgefundenen Windkraftopfern hat der Anteil von 25 % im Zeitraum 1997-2011 auf nunmehr 12 % im Zeitraum 2012-2021 abgenommen. Wir vermuten hierbei eine hohe „Dunkelziffer“ der „nicht (mehr) gemeldeten Windkraftopfer“, aufgrund der zunehmenden Sensibilität bei diesem Thema innerhalb der Bevölkerung. Zudem sind unter den neun Fällen von Seeadlern mit Flügelverletzungen (= Trauma) weitere Windkraftopfer zu vermuten, die aber nicht zweifelsfrei einer bestehenden Anlage in der weiteren Umgebung zugeordnet werden konnten.
Aufgrund der steigenden Anzahl von Windenergieanlagen im Land und einer Zunahme der Seeadlerbestände, wäre auch eine Zunahme der Kollisionszahlen zu erwarten gewesen. Möglicherweise ist neben der gesunkenen „Meldebereitschaft“ von toten Seeadlern auf landwirtschaftlichen Flächen hierbei aber auch ein gewisser „Schutzeffekt“ durch die geltende Abstands- regelung (bislang 3.000 m zwischen Seeadlerbrutplatz und WEA-Anlagen) sowie die Wirksamkeit des „Seeadler-Dichtezentrums“ als weitgehend WEA-freie Landschaft ursächlich.

Todesursachen 1997-2011

In dem Zeitraum 1997-2011 war die Kollision von Seeadlern mit Windkraftanlagen in 26 Fällen die häufigste Todesursache. An zweiter Stelle folgten dann Kollisionen mit Eisenbahnen. Weitere Einzelheiten siehe Struwe-Juhl & Latendorf (2021).

Todesursachen 2012-2021

Im aktuellen Untersuchungszeitraum 2012-2021 waren Kollisionen von Seeadlern mit Eisenbahnen mit 42 Fällen die häufigste Todesursache (Abb. 3). In 21 Fällen war eine Kollision der Seeadler mit den Rotorblättern von Windenergieanlagen die Todesursache. Hinzu kamen neun Fälle mit „Anflug-Trauma“ als Ursache und zwei Fälle bei denen Seeadler nachweislich mit den Drahtseilen von Stromleitungen kollidierten und starben. Insgesamt starben in diesem Zeitraum 27 Seeadler in Schleswig-Holstein in Folge von Vergiftungen.

 Totfunde 2012 2021
 
Abb.3: Todesursachen von Seeadlern in Schleswig-Holstein im Zeitraum 2012-2021 (nach Daten der Projektgruppe Seeadlerschutz). Rote Säulen: durch Menschen verursachte Todesfälle, grüne Säulen: natürliche Todesursachen, graue Säule: Todesursache unklar

Dabei konnte bei 14 Seeadlern eine Bleivergiftung, bei fünf Vögeln eine Vergiftung mit Mevinphos, bei zwei Vögeln Carbofuran und bei je einem Seeadler die Vergiftung mit einem Parathion bzw. Pentobarbiturat nachgewiesen werden. In vier Fällen konnte das Gift nicht sicher toxikologisch bestimmt werden. Die Vergiftungsfälle mit sicherem Giftnachweis geben einen deutlichen Hinweis auf eine immer noch stattfindende illegale Prädationsbekämpfung im Land, zumeist unter Einsatz von tödlich giftigen Schädlingsbekämpfungsmitteln, die illegaler Weise als Ködergifte z.B. bei der Fuchsbekämpfung eingesetzt werden. Einzelheiten aus Schleswig-Holstein dazu haben sowohl Gall (2015) als auch Kieckbusch (2020) zusammengestellt.
Somit fielen in dem Untersuchungszeitraum 2012 bis 2021 rund 60 % der tot gefundenen Seeadler (n=179) „zivilisationsbedingten“ Todesursachen zum Opfer, im Wesentlichen durch Kollisionen mit Schienenfahrzeugen, Windenergieanlagen und Stromleitungen. Im Zeitraum 1997-2011 waren es 64 % von 105 Totfunden. Völlig unnötige Todesursachen wie Vergiftungen müssen noch als „zivilisationsbedingt“ hingerechnet werden. Unter den „natürlichen“ Todesursachen (11 %) sind Krankheiten (14 Fälle, davon in neun Fällen mit positiven Nachweis von Vogelgrippeviren) und Revierkämpfe mit tödlichem Ausgang (5 Fälle) zu nennen.

Altersstruktur der Totfunde

Im Zeitraum 2012-2021 konnten unter 179 Seeadlertotfunden von 107 Individuen, anhand der Beringung oder aufgrund der Schnabel- und Gefiedermerkmale, das Alter der Vögel sicher bestimmt werden. 54 % aller Totfunde waren junge bzw. subadulte Seeadler der Altersklassen 1. – 4. Kalenderjahr (Abb. 4). Das entspricht sehr genau den Ergebnissen unserer ersten Studie aus dem Zeitraum 1997-2011.
Die übrigen Vögel waren älter und verteilen sich den Erwartungen entsprechend auf die nachfolgenden Altersklassen. Im Zeitraum 2012-2021 waren unter den Totfunden vier überdurchschnittlich alte Seeadler. Sie erreichten ein Alter von nachweislich 26, 29, 30 und 34 Jahren. Der letztgenannte Vogel markierte das bisher bekannte Höchstalter von beringten wildlebenden Seeadlern in Deutschland.
Mit der abnehmenden Altersverteilung entspricht die Altersstruktur der Totfunde in etwa der Alterszusammensetzung der Seeadlerpopulation in Schleswig-Holstein (Struwe-Juhl & Grünkorn 2007).

 Alter Totfunde Bahn WEA Opfer
 Abb. 4: Alter der tot aufgefundenen Seeadler (n=107)
 Abb. 5: Alter der tot aufgefundenen Seeadler an Bahnschienen (n=57) und unter Windenergieanlagen (n=47). Immat = Vögel im Alter von 1. kalenderjahr bis 5. Kalenderjahr, adult = Vögel älter als 5. Kalenderjahr

Von den Kollisionen mit Eisenbahnen und Windenergieanlagen sind vorwiegend die jungen unerfahrenen Seeadler betroffen. 75 % der Seeadler, die nach einer Kollision mit einer Eisenbahn tot am Gleisbett aufgefunden wurden, waren immature Seeadler. Unter den Kollisionsopfern bei den Windenergieanlagen waren mit 84 % ebenfalls junge Seeadler deutlich häufiger betroffen als adulte Vögel (Abb. 5).

Herkunft der Totfunde

Im Zeitraum 2012 bis 2021 waren 70 der 179 untersuchten Seeadler beringt und somit deren Herkunft bekannt. 87 % davon waren in Schleswig- Holstein beringt worden, sieben Vögel kamen aus Mecklenburg-Vorpommern (Vogelwarte Hidden- see) und je ein Seeadler aus Dänemark (Vogelwarte Kopenhagen) bzw. den Niederlanden (Vogelwarte Arnhem).

Literatur

Gall, T. (2015): Kieler Erklärung zum Schutze der Greifvögel in Schleswig-Holstein. In: Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung (Hrsg.): Jahresbericht 2020 zur Biologischen Vielfalt. Jagd und Artenschutz. S.: 34-36.
Kieckbusch, J. (2020): Greifvogelverfolgung in Schleswig-Holstein. In: Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume (Hrsg.): Jahresbericht 2015. Jagd und Artenschutz. S.: 43-45.
Krone, O., T. Langgemach, P. Sömmer & N. Kenntner (2002): Krankheiten und Todesursachen von Seeadlern (Haliaeetus albicilla) in Deutschland. Corax 19, Sonderheft 1: 102-108.
Struwe-Juhl, B. & Latendorf, V. (2012): Todesursachen von Seeadlern in Schleswig-Holstein 1997-2011. Großvogelschutz im Wald. Jahresbericht 2011. Hrsg. Projektgruppe Seeadlerschutz. ISSN 2940-0554
Struwe-Juhl, B. & T. Grünkorn (2007): Ergebnisse der Farbberingung von Seeadlern (Haliaeetus albicilla) in Schleswig-Holstein mit Angaben zu Ortstreue, Umsiedlung, Dispersion, Geschlechtsreife, Altersstruktur und Geschwisterverpaarung. Vogelwelt 128: 117-129.

Bernd Struwe-Juhl & Volker Latendorf